Wo endet die Freiheit?
Die ganze Welt erlebt in den letzten Monaten verrückte Zeiten. Zeiten voller Unsicherheit, Angst, teilweise Wut und neuen Regeln, an die es sich nicht immer leicht gewöhnen lässt.
Letzte Woche war ich nach unfassbaren fast 4 Monaten das erste Mal wieder im Zug unterwegs. Wieder beruflich zu einem Termin in Hannover.
Wie ihr wisst bin ich sonst ständig unterwegs und das auch so oft es geht im Zug. Das ist alles Routine. Aber dieses Mal war es echt anders.
Wie ist es richtig?
Zuallererst hieß es ab Bahnhof „Schnuttenpulli antreken“ (Mund-Nasenschutz anziehen). Was war auf dem Bahnsteig? War ja an der frischen Luft, ich stand allein in einem Abschnitt. Aber: Immer noch Bahnhof. Es ging anscheinend mehreren Reisenden wie mir. Ein bisschen die Maske runter, dann kamen wieder andere Reisende vorbei, Maske auf und letztlich einfach an gelassen. Vorschrift ist Vorschrift. Sicher ist sicher. Machen alle – also auch ich.
Aber das dann auch die ganze Zugfahrt? Oh man, das wurde ja nun schon ungewohnt. Nächstes Mal muss ich mit dünneren Stoffen nähen.
Im Zug war es gruselig leer. Jeder hatte mindestens eine Sitzreihe für sich. Alle trugen artig Maske. Ich war froh, dass ich mein Frühstück mitgenommen hatte. Fürs Essen konnte ich die Maske guten Gewissens abnehmen. Während ich dort also so saß und merkte, dass mich die Maske erst anstrengte, dachte ich an alle, die das nun schon seit Monaten die ganze Schicht bei der Arbeit tragen. HUT AB!!!
Nach ein paar Minuten hatte ich mich aber auch daran gewöhnt und muss sagen, das ging echt gut.
Noch keine Geisterstadt – aber anders
In Hannover bin ich oft und steige dort auch oft um, kenne den Bahnhof also sehr gut. So leer habe ich ihn noch nie gesehen. Kein Gedrängel, keine Hektik in Massen…..
Während meines Termins konnte die Maske – Abstand sei Dank – runter. Danach wieder ab in den Bahnhof. Leider musste ich etwas rennen, um den Zug zu bekommen. Das war dann schon anstrengender mit meinem selfmade Schnutenpulli im Gesicht.
Im Zug das mir nun schon bekannte Bild.
Wie es bei solchen Fahrten so ist, gehen auch die Gedanken auf Reisen. So dachte ich an die Demos gegen unsere geltenden Einschränkungen hier in Deutschland, Beschneidung der persönlichen Freiheit und unserer Grundwerte und Rechte. Fühlte ich mich durch die Maske, Abstand halten, längeren Warteschlangen, verstärkten Hygieneauflagen in den letzten Monaten eingeschränkt?
Wo endet die Freiheit
Das kann ich klar beantworten: NEIN! Denn meine Freiheit endet bei der anderer Menschen. Ich möchte nicht krank werden, andere auch nicht. Also ist es für mich selbstverständlich einen Schnutenpulli zu tragen, auf Abstand zu achten, mich zu registrieren usw.. Ja, Letzteres finde ich insofern merkwürdig, dass ich in meinem Online-Business unfassbar genau auf Datenschutz achten muss und nun jeder seine Daten, oft für viele einsehbar, preisgeben muss. Das geht dann auf einmal. Mich selbst stört das nicht. ich habe nichts zu verbergen und kein Problem damit gewisse Daten kundzutun.
Bei all den Diskussionen um die Rechtseingriffe kann ich nur sagen: Wenn Gesundheit kein schützenwertes Recht ist, dann weiß ich nicht, was es sonst sein soll. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – da fühle ich mich auch NUll eingeschränkt/ verletzt wenn die Gesellschaft durch Regeln aufeinander Acht gibt. Schwieriger finde ich die „Zwangsilosationen“ zu Beginn von Risikogruppen. Zum Schutz. Ja. Aber wer hat sie gefragt, ob sie das in dem Maße wünschen?
Aber einen Schnutenpulli finde ich nicht entwürdigend. Da gibt es so richtig coole Dinger inzwischen und wir schauen uns endlich mal in die Augen. 🙂 Jeder Schnutenpulli-Träger zeigt mir zudem das Interesse an den anderen Menschen: Er schützt mich. So wie ich ihn. Und das tue ich gerne und ich freue mich, wenn es auch andere machen.
Wenn ich dann mitbekomme wie jemand die Maskenpflicht nicht einhält und sich im Fachgeschäft darüber aufregt, dass die Masken eh nichts bringen, werde ich wütend. Denn selbst wenn ich für mich keine Maske tragen möchte und von der Wirksamkeit der Maßnahme nicht überzeugt bin, kann ich sehr wohl eine Maske aufsetzen, um den Inhaber des Ladens nicht in Schwierigkeiten zu bringen. Denn er ist es, der vom Ordnungsamt Ärger und ggf. sogar ordentliche Bußgelder aufgedrückt bekommt, wenn er nicht dafür Sorge trägt, dass in seinem Geschäft die Regeln eingehalten werden. Daran sollten die Verweigerer einmal denken, anstatt diejenigen, die selbst viel Arbeit, Aufwand und Einschränkungen durch die Auflagen erleben, in Schwierigkeiten zu bringen. Derartiger Egoismus ist für mich nicht nachvollziehbar.
Ich war vor ein paar Wochen spontan frühstücken. Es gab Büffet. Da war ich erst skeptisch, aber es war nicht so viel los und ich sah schon, dass das Konzept super durchdacht war. Die Hände am Tisch direkt desinfizieren (die Servicekraft brachte es mit und erledigte das fix 🙂 ), fix Zettel ausfüllen, vor jedem Gang zum Büffet direkt noch einmal desinfizieren, klare Laufwege und Abstandshinweise, aufmerksames Personal mit Blick darauf, eingepacktes Besteck… In meiner Freiheit eingeschränkt? Null! Ganz im Gegenteil: Ich fühlte mich sicher und konnte mein Frühstück genießen.
Die Message
Warum widme ich diesen Artikel dem Thema? Weil ich manchmal wirklich erschrecke wie schnell das Geschrei groß ist, wenn wir hier einmal Dinge tun müssen, die wir sonst nicht müssen und Dinge lassen müssen, dir wir sonst dürfen. Dann gehen Menschen auf die Straße. Wenn zum Schutz der Gesundheit aller Regeln aufgestellt werden. Aber für die ganzen Probleme, Ungerechtigkeiten, die es bereits davor gab, waren es wenige Protestler …. Den Pflegenotstand, die Ungerechtigkeit in der Wirtschaft, Umweltverschmutzung (immerhin war vor Corona da etwas im Gange), usw. ….
Auch wenn nicht alles gut gelöst ist, muss ich doch sagen: Neue Situationen erfordern auch Ausprobieren, erst einmal Festlegen. Ja, erst hieß es Mundschutz hilft nicht, nun doch. Warum? Wir lernen unseren neuen Begleiter – Covid 19 – langsam kennen. Da ändern sich Meinungen und somit auch Regelungen.
Bei meiner Kritik an den Protesten/ Aussagen mancher, richte ich mich nicht an jene, die für ihre Existenz kämpfen, dort auf Missstände und falsche Hilfsansätze hinweisen. Bist du riesig, wirst du gerettet. Bist du klein, wirst du – sogar bei Systemrelevanz – nicht unbedingt getragen. Da lief und läuft vieles falsch und ich konnte einige Schritte der Politik nicht nachvollziehen.
Meine Kritik richtet sich explizit an diejenigen, die schimpfen, zetern, verschwören, weil wir so sehr in unserer Freiheit eingeschränkt sind durch die Hygienemaßnahmen und Abstand und Versammlungsbeschränkungen.
Um es klar zu sagen: Wie arrogant sind wir eigentlich, dass wir derartiges auf eine Stufe mit Verletzungen elementarer Grundrechte stellen? Manche Vergleiche sind unfassbar! Uns ging es anscheinend einfach zu gut. Gewappnet gegen alles, alles unter Kontrolle. Und dann kam ein Virus, das den Menschen zeigte, dass sie längst nicht alles unter Kontrolle haben und mal wieder auf den Boden der Tatsachen zurückkommen dürfen. Da ist es sehr viel einfacher Menschengruppen, Millionären die Schuld zu geben – Verschwörungstheorien anzuhängen. Denn dann hat der Mensch die Kontrolle zurück. Ein böser Mensch, eine Minderheit – aber das Schicksal liegt wieder in Menschenhand. Aber ich fürchte dem ist nicht so.
Protestiert lieber an den richtigen Stellen und mit denen, die weiterhin in der Luft hängen, da sie nicht weitermachen dürfen, aber auch nicht gerettet werden. Mit denen, die als Helden gefeiert wurden, deren Bedingungen sich aber weiterhin nicht dauerhaft verbessern.
Ich sehe nach wie vor tolle positive Impulse und Veränderungen von Wertschätzung, Bewusstsein, Sichtweisen. Aber leider sehe ich auch, dass sie langsam wieder abnehmen. Je „normaler“ die Welt wieder wird, desto mehr neuer An- und Einsichten scheinen zu verschwinden. Ich hoffe, dass wir nicht alles vergessen, sondern beibehalten, gute Ideen anpacken und die Chancen von der Zeit nutzen.
In diesem Sinne: DANKE euch allen, die ihr täglich mit Masken arbeitet, die ihr die ganze Zeit die Stellung haltet, die ihr auch nicht beklagt, sondern macht! DANKE euch allen, die ihr tolle Ideen entwickelt und auf die Krise reagiert habt, die ihr euch nun anpasst und macht und dafür sorgt, dass ihr weitermachen, aber auch wir genießen dürfen. DANKE an alle, die ihr euch an die Regeln haltet und nicht nur euch, sondern auch mich schützt.
By the way: Eine Welt nach Corona? Ich fürchte es gibt nur noch ein MIT Corona. Kein Freund, aber hoffentlich auch bald nicht mehr als ein Begleiter.
Epilog
Auf meinem Weg von der S-Bahn nach Hause bin ich noch fix etwas einkaufen gegangen und wunderte mich dann, warum mich einige Passanten auf der Straße so irritiert anschauten. Bis ich merkte – oh, Schnutenpulli noch im Gesicht. Das war mir gar nicht mehr bewusst. Ich merkte es erst als die Luft beim Treppenaufstieg ungewohnt knapp wurde. 🙂